Nicht-Existenzen
Mithilfe alter Fotos und von KI-Programmen skizziert Erika Kassnel-Henneberg, was uns möglicherweise allen in Zukunft ins Haus steht.
Noch vor 20 Jahren amüsierte sich das Filmpublikum in den »Harry Potter«-Verfilmungen über die Porträts an den Wänden Hogwarts, die keine starren, zweidimensionalen Abbildungen der porträtierten, längst verblichenen Menschen zeigten, sondern quicklebendige, wenngleich in ihrer Bildwelt gefangene Personen, die mit Harry & Co. sogar interagierten.
In Zeiten der immer raffinierteren digitalen Bildbearbeitung und Künstlichen Intelligenz (KI) sind solche Bildwelten schon jetzt keine Fantasy mehr. Ihre Entwicklung schreitet voran, und sie werden unser Denken und unsere Wahrnehmung, ja vielleicht unser Menschenbild verändern. Schon jetzt setzen wir animierte GIFs, in denen Menschen auf fast bemitleidenswerte Weise in der ewig gleichen zwanghaft wiederholten Bewegung gefangen sind, zum Vergnügen in Chats und Kommentaren ein. Ein sehr unangenehmer Gedanke, dass hier eine Realität abgebildet sein könnte. Noch schieben wir ihn beiseite.
Erika Kassnel-Henneberg, Trägerin des Kunstpreises des Landkreises Augsburg im Jahr 2022, hat sich als Künstlerin mit den neuen Möglichkeiten auseinandergesetzt, die Programme wie DALL-E, GPT und was es auf diesem Gebiet schon gibt, bieten. Ein halbes Dutzend Arbeiten sind aktuell im Höhmannhaus ausgestellt, vor allem immaterieller Art: Foto- und Videoprojektionen, aber auch KI-generierte Polaroids. Sie faszinieren, ohne Zweifel, durch ihre perfekte Illusion, können aber auch beunruhigend oder sogar abstoßend wirken. Der Titel der Ausstellung »Uncanny Valley / Das unheimliche Tal« (zurückgehend auf den japanischen Robotik-Pionier Masahiro Mori) ist daher sehr treffend gewählt.
Kann und darf man Menschen anhand alter Fotos wieder zum Leben erwecken? Können wir uns an Porträts von Menschen erfreuen, die nie existiert haben? Und brauchen wir den Menschen überhaupt noch, um menschliche Handlungen zu vollführen?
Die Arbeiten von Erika Kassnel-Henneberg liefern keine Antworten, aber sie stellen die richtigen Fragen. Mit KI-generierten Bildern auf Basis alter Fotografien oder eigener Sprachbefehle, mit Footage-Material von Tänzerinnen und Robotern. Darüber hinaus experimentiert sie mit eigenen biografischen Elementen. Herausgekommen ist eine künstlerisch (oder auch künstlich)-ästhetische Beobachtung des aktuellen Standes der Virtualisierung, in der sogar der gute, alte Legostein als analoges Pixel seinen Platz hat.
»Erika Kassnel-Henneberg: Uncanny Valley / Das unheimliche Tal« ist bis 26. März 2023 in der Neuen Galerie im Höhmannhaus zu sehen.