Vom Erlöschen eines Doppelsterns
Der Nazifreund Neher und der Moralist Brecht – ist es wirklich so einfach? Die neue Ausstellung im Grafischen Kabinett zeichnet ein diffiziles Bild im Spannungsfeld von Idealen und Pragmatismus in verschiedenen Systemen.
Vor dieser Ausstellung sei gewarnt: »Wanderer zwischen den Welten. Die Freundschaft Caspar Neher – Bertolt Brecht« ist weder eine bloße Werkschau eines talentierten Zeichners und bis zum Schluss gefeierten Bühnenbildners noch ein romantisches Buddy-Movie, sondern gibt Einblicke in ein verworrenes Beziehungsgeflecht vor, zwischen und nach den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts.
Die Ausstellung im Grafischen Kabinett wurde kuratiert von Prof. Dr. Jürgen Hillesheim, Leiter der Bertolt-Brecht-Forschungsstätte Augsburg, und dieser hat sich ein Wort im Zusammenhang mit dieser Ausstellung besonders auf die Fahnen geschrieben: »Erinnerungskultur«; nicht nur im Zusammenhang mit den Nazis und ihren Kollaborateuren, derer – so wird einem anhand der Dichte der Exponate in den eher intimen Räumen des Kabinetts besonders bewusst – es mehr gab, als man als Kunstfreund*in ahnte (oder ahnen wollte).
Unter den 40 Exponaten, zu 50 Prozent Werke aus den Kunstsammlungen & Museen Augsburg, und zu weiteren 50 Prozent von der Staatsbibliothek, finden sich private Skizzen und Bühnenbilder von beeindruckender Qualität aus der Feder Caspar Nehers, ein bislang noch nicht oft gezeigtes Selbstporträt in Öl, und – ergänzend zur Kunst – eine Reihe von Briefen zwischen den beiden Freunden.
Letztere sind es, die eigentlich die Dramatik ins Geschehen bringen: Startet die Ausstellung noch mit lockeren Skizzen Nehers von sich selbst und seinem Kumpel Bertolt, den er mit ca. 13 Jahren kennenlernte, und dem er auch verbunden blieb, während er selbst 1917 im Schützengraben lag, (während der Freund es erfolgreich geschafft hatte, sich dem Dienst an der Front zu entziehen), endet sie mit dem Zerwürfnis der beiden in den 1950er Jahren.
Pragmatismus und Seilschaften
Wie ein Doppelstern im Universum tanzten die beiden über Jahrzehnte hinweg wieder und wieder umeinander und nutzten das Kraftfeld, sprich, die guten Beziehungen des jeweils anderen bis in höchste Kreise, um an den Theatern in Ost und West in Lohn und Brot zu bleiben. Manches hat hier, weit über das Dritte Reich hinaus, gelinde gesagt, ein »G’schmäckle« und wirft auch ein für manchen neues Bild auf den vermeintlich strammen Linken und gefestigten Moralisten Brecht, der – ironischerweise – genau deshalb in seiner Geburtsstadt lange geschmäht und erst ab den 1990er Jahren aufs Podest gehoben und gefeiert wurde. Umgekehrt war es aber auch der systemstützende Neher, der z.B. dem jüdischstämmigen Komponisten Kurt Weill zur Flucht verhalf. Es ist kompliziert.
Ein Einzelfall? Keineswegs. Auch heute, in Zeiten von Corona-Politik und Ukraine-Krise verläuft die Front oft wieder mitten durch die Wohnzimmer und Universitäten und über die Biertische, und manche Freundschaft sieht sich von heute auf morgen einer Zerreißprobe ausgesetzt. Den zielsicher gezückten Zeigefinger muss man da zuweilen wieder sanft in der Tasche verschwinden lassen. Oder sich – einen anderen Literaten, Franz Kafka, würd’s freuen – unter Schmerzen selbst die Worte »Sei gerecht!« einritzen.
»Wanderer zwischen den Welten. Die Freundschaft Caspar Neher – Bertolt Brecht«, wird bis 25. Juni im Grafischen Kabinett in der Maximilianstraße zu sehen sein. Jeden Sonntag um 16 Uhr gibt es eine kostenlose Führung.