Reden wir Tacheles!
Am 2. März feierte das Präventionsstück »Tacheles« des JTA Premiere in der Turnhalle des Gymnasiums St. Stephan. Es kommt zur richtigen Zeit, wie aktuelle Zahlen belegen.
»So viel Hass!« resümiert der Muslim Kinan (Ramo Ali) gemeinsam mit seinem katholischen Freund Paul (Sebastian Baumgart) nachdem sie über das hasserfüllte Zusammenleben der Menschen in der Welt philosophieren. Die beiden jungen Männer reden Klartext, denn ihre Mitbewohnerin Irina ist nach einer Party in ihrer gemeinsamen Wohngemeinschaft nicht auffindbar. Kinan und Paul machen sich Sorgen um ihre Freundin, nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie Jüdin ist. Sie lassen den Abend Revue passieren, um herauszufinden, was passiert sein könnte und erinnern sich daran, dass ein Rapsong Irina eventuell aufgewühlt haben könnte. Oder waren es vielleicht doch die antisemitischen Vorfälle in ihrem Fußballverein oder damals auf dem Schulhof? Womöglich ist Irina aber einfach nur zu Hause bei ihren Eltern, um gemeinsam mit ihnen Schabbat zu feiern …
Antisemitismus war nie weg, er war und ist immer da. Antisemitismus im Rap, Antisemitismus auf und neben dem Fußballplatz, Antisemitismus im Alltag, auf dem Schulhof und in den Köpfen der Menschen sind Themen in dem knapp einstündigen Stück. Ein Mix aus Schauspielszenen, direkter Ansprache der jungen Zuschauer*innen und Faktenchecks soll Schüler*innen ab der 8. Jahrgangsstufe für das Thema sensibilisieren. Basierend auf Recherchematerial und Erlebnissen von Jüdinnen und Juden, die selbst über Lautsprecher zu Wort kommen, hinterließ das Gesehene bei den Zuschauer*innen offenbar einen bleibenden Eindruck.
In der anschließenden Fragerunde, zeigten sich einige schockiert über die zahlreichen antisemitischen Vorfälle der letzten Jahre, über die Anzahl der angezeigten Straftaten. Eine Schülerin gab zu, sie war sich des Ausmaßes nicht bewusst, aber hätte selbst noch nie Antisemitismus miterlebt. Andere hingegen, gaben offen zu, schon einmal antisemitische Beleidigungen und Vorurteile mitbekommen zu haben. Anschließend teilten sich die Klassen auf und vertieften die Diskussion in von Pädagog*innen geleiteten Workshops in ihren Klassenzimmern.
Das Stück kommt zur richtigen Zeit. Antisemitismus und die Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens war und ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Die Zahl judenfeindlicher Gewalttaten stieg 2022 im Vergleich zum Vorjahr von 63 auf 88 Delikte. Das Bundeskriminalamt verzeichnete für das Jahr 2022 bisher 2.639 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund. Im Jahr 2021 waren es 3.028 Delikte. Allerdings fehlen noch die üblichen Nachmeldungen aus dem vierten Quartal 2022. Es ist also zu erwarten, dass die Zahl der gemeldeten Straftaten noch deutlich steigen wird. In den vergangenen vier Jahren nahm die Zahl der Meldungen stetig zu. Die Corona-Pandemie und die damit einhergegangen antisemitischen Verschwörungstheorien werden ihren Beitrag ebenfalls dazu geleistet haben.
Jüdinnen und Juden sind in Deutschland nicht sicher. Sie erleben regelmäßig Anfeindungen und Angriffe. Eine Studie der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) zeigt, wie alltagsprägend Antisemitismus ist – weil Juden bestimmte Orte meiden, weil sie nicht gern als Mieter gesehen sind, weil Eltern sich bei einem Schulausflug nicht nach der Verpflegung, sondern dem Sicherheitskonzept erkundigen. Wegen der permanenten Bedrohung machen sich viele Jüdinnen und Juden unsichtbar: Sie verzichten auf den Davidstern-Anhänger, den Rucksack des jüdischen Sportverein Makkabi oder die Kippa. Und das in Deutschland, im Jahr 2023.
Gemeinsam mit zahlreichen Partner*innen wie u.a. dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben oder der RIAS stellt das JTA ein wichtiges Projekt auf die Beine, das dort ansetzt, wo vielleicht noch ein Sinneswandel zu erhoffen ist: bei der jungen Generation.
Das Tacheles-Paket besteht aus zwei Teilen, einem Impulstheater in der Schulturnhalle mit anschließendem Nachgespräch sowie Workshops. Das mobile Theaterstück kann bayernweit gebucht werden. Für Herbst sind auch öffentliche Veranstaltungen geplant.