Theater & Bühne

Im Rausch

a3kultur-Redaktion

Im Martini-Park feierte das Staatstheater Augsburg die Premiere des Erfolgsstücks »Jerusalem«. Die Zuschauer*innen waren begeistert. Die deutsche Fassung wirft aber Fragen auf.

Die Erwartungen waren groß. Schließlich überschlugen sich die Kritiker*innen nicht nur in London, sondern auch am Broadway in New York, mit Lobeshymnen auf das Stück. Es gilt als DAS beste britische Stück des 21. Jahrhunderts und zählt zu den besten 40 Stücken aller Zeiten. Nach London und New York, nun also klar: Augsburg. Hier wurde die erste deutschsprachige Fassung gezeigt, in einer Inszenierung von Intendant André Bücker.

Johnny »Rooster« Byron lebt in einem Wohnwagen im Wald. Um ihn herum Dreck und Müll und ein Haufen junger Menschen aus dem Dorf, die sich, wie die Jünger um Jesus, um den Aussteiger Rooster scharen. Immer auf der Suche nach der Hoffnung, nach dem Sinn, nach dem Zauber ihres Daseins und vor allem dem nächsten Rausch. Denn Johnny lebt zwar in der Natur, gönnt sich aber vor allem künstliche »Glücklichmacher«. Da wird gekokst, gesoffen, geraucht, dass sich die Zuschauer:innen bald selbst wie berauscht fühlen. Gescheiterte Existenzen finden bei Johnny und seinem Plätzchen unter dem  freien Himmel eine Anlaufstelle, ein Rückzugsort vor ihren Problemen, die sich dort nicht lösen, aber zumindest für einige Zeit vergessen lassen.

Aufgrund seines Lebensstils, seiner Anziehungskraft auf die Jugendlichen und der Tatsache, dass er  und sein schrottreifer Wohnwagen der Ausweitung einer Neubausiedlung im Wege steht, soll der Querulant nach der Gemeindeverwaltung lieber gestern als heute verschwinden und sein Zuhause dem Waldboden gleich gemacht werden. Aber nicht ohne Gegenwehr des Aussteigers. In »Jerusalem« prallen also Wohlstand und Kapitalismus auf Freiheitsgedanken. In dieser zeitlos gültigen Erzählung dreht es sich um eine gespaltene Gesellschaft.

Für die deutsche Erstaufführung wurde der Text von Jez Butterworth ins Deutsche übersetzt. Die Handlung selbst bleibt aber in einem fiktiven Örtchen in England angesiedelt. Johnny erzählt von den Mythen und Legenden Englands. Und so, hatten einige (der vielen) Gags auch regionale Bezüge, die der britische Zuschauer auf dem Nachbarplatz häufiger zum Schmunzeln brachte, als das bayerische Publikum im Saal.

Die Zeitung The Guardian brachte für die amerikanischen Zuschauer*innen am Broadway, wo das Stück 2011 fulminant Premiere feierte, extra eine kurze »Übersetzungshilfe« heraus. Man befürchtete wohl, dass das amerikanische Publikum den Slang und Bezüge nicht richtig verstehen könnte. Einige kleine Änderungen am Text wurden für das Publikum in Übersee vorgenommen. Keine Fehlinterpretationen sollte jedoch das Wörtchen »Fuck« verursachen. Tatsächlich verwenden Johnny und Co. im Original in jedem zweiten Satz jegliche Formen dieses und weiterer Schimpfwörter. Man kann sich Johnny wild fluchend über die Bühne laufend vorstellen, wie einst Ozzy Osbourne in seiner eignen Realityshow auf MTV. Im Deutschen kam Johnny da weitaus »freundlicher« und gebildeter rüber.

Im Original werden von den meisten Charakteren in Johnnys Wald fundamentale Grammatikfehler gemacht. Fehler, die auf eine niedere Schulbildung schließen lassen. Im Deutschen wurden diese Fehler lediglich mit Mundart und der falschen Verwendung von »als« und »wie« übersetzt, wie im Programmheft erklärt wird. Die Intelligenz der Figuren sollte aber nicht infrage gestellt werden, so Michael Raab, Übersetzer der Tragikomödie. Ob das auch das Ziel im englischen Original war? Auch wenn Butterworth selbst betont, kein »state of the nation play« verfasst zu haben, kommt man nicht umhin zu fragen, ob es sich so einfach herauslösen lässt und nicht doch anders »wirkt« in seinem britischen Heimatland.   

Am Ende des vierstündigen Theaterabends applaudierte das Publikum begeistert den Schauspieler*innen auf der Bühne entgegen – zumindest das, was bis zum Ende blieb. Einige der Zuschauer*innen bewiesen wenig Sitzfleisch und so verließen Einzelne bereits in der ersten Pause das Theater. Nach der zweiten Pause waren die Lücken nicht mehr zu übersehen. Schade, denn sie verpassten eine großartige Geschichte und einen tollen Theaterabend.

Die nächste Vorstellung findet am Samstag, 17. September statt.

www.staatstheater-augsburg.de