Die Ecke an sich ist ein Ergebnis der westlichen Hausbauweise auf Basis von Flächen, die in rechten Winkeln aufeinanderstoßen, und außer im Fußball selten von praktischem Nutzen: Beim Putzen ein Graus, in der Schule Platz der intern ausgestellten Schande, in der Disco Aufenthaltsort der grauen Mäuse und Tanzunwilligen.
Sieben Mitglieder der Künstlervereinigung »Die Ecke« haben sich der Ecke furchtlos genähert und in insgesamt sechs Rauminstallationen ihr ästhetisches Potenzial ausgekundschaftet. In den verwinkelten Räumen der Ecke-Galerie am Elias-Holl-Platz haben sie sich , flankiert von den Werken der Preisträger*innen der letzten »Ecke«-Ausstellung, in ihren durch die Ecken definierten Aktionsräumen temporär eingerichtet:
Dagmar Amling bevölkert ihre Ecke mit den ephemeren, schattenhaften Abbildern von Menschen aus aller Welt, die bald zerbröselt am Boden liegen werden, während nur noch die Lichtquellen die Ecke im Separee der Galerie ausleuchten.
Jeannette Scheidles Ecke ist eine Art Kleiderkammer der ungewöhnlichen und fast unangenehmen Art: Hier hängen künstliche Häute aus Folie mit an der menschlichen Wirbelsäule orientierten Dekors auf Drahtkleiderbügeln wie Anzüge in einer Großwäscherei. Dazu zeigt ein durch Tontrennung verfremdetes Video den Akt des An- und Ablegens dieser zweiten Haut.
Barbara Wolff nutzt den ihr zugedachten Raum und ihre Ecke, ihre Erfahrungen als Designerin spielen zu lassen und mit den Elementen einer Sitzbank zu spielen, die sich, in der Peripherie nutzlos im Raum hängend, mit dem Vordringen in die Ecke immer mehr zum Sitzmöbel manifestieren, dessen Vollendung allerdings ein unerfüllter Wunsch bleibt, und so muss der Besucher ohne Möglichkeit des Verweilens weiterziehen.
Martin Beckers macht aus seiner Vorliebe zu glänzendem rotem Lack keinen Hehl und präsentiert ein an Ecken und Winkeln nicht armes Konstrukt aus lackierten Metallteilen eines Schwerlastregals. Was aussieht wie der erotische Fiebertraum eines Baumarktmitarbeiters, trägt den Titel »Eckenzauber« und korrespondiert mit dem dazu ausgestellten Modell.
Nina Zeilhofer und Valentina Braun zeigen mit ihrer Installation, wo die Ecke-Galerie zu finden ist: Inmitten eines Gespinstes gedachter Linien zu anderen Kunst- und Kulturorten in Augsburg. Wo diese Luftlinien zusammenlaufen, nämlich in der Ecke des Raumes, kann die Besucherin oder der Besucher sich selbst als Mittelpunkt des aktuellen Moments begreifen – ist das Zentrum der Installation doch der eigene momentane Standort.
Christian Odato schließlich nutzt den Platz in seiner Ecke, sein Diptychon »Genesis« im 90°-Winkel einzuklappen, was sein Sujet, eine Art Luftaufnahme einer fiktiven Landschaft, zu einer künstlichen Welt im Raum werden lässt, allerdings anders, als wir sie kennen. Arthur C. Clarkes »Rendezvous mit Rama« lässt grüßen.
Wer die Installationen im Original sehen will, muss sich beeilen: »ECKE # ECKEN« ist noch bis 22. Januar 2022 in den Räumen der Ecke-Galerie bzw. Galerie Cyprian Brenner zu sehen. In den Räumen gilt die 2G-Regel.