Nehmen wir an, Sie hätten kein Problem damit, wenn Sie in ein paar Jahren nur noch geklontes Obst kaufen könnten, wenn Ihr Leitungswasser teurer, dafür aber immer dreckiger würde und das Lechfeld durch chemische Erdölgewinnung zu einer Mondlandschaft. Auch in dem extrem unwahrscheinlichen Fall, dass Ihnen diese gar nicht mal so unwahrscheinlichen Auswirkungen des geplanten transatlantischen »Freihandels«-Abkommens TTIP nichts ausmachen: Das Leben vergällen kann Ihnen TTIP trotzdem. Zum Beispiel, wenn Sie gerne ins Theater gehen.
Ein ebenfalls nicht völlig unwahrscheinliches Szenario: Die Stadt Augsburg will partout kein neues Theater bauen, die Viertelmilliarde Euro für die Sanierung bekommt sie aber nicht zusammen. Ein finanzstarker Investor bietet ihr an, das Theater zu kaufen, es zu sanieren und dann mit Gewinnerzielungsabsicht zu bespielen. Mit dem Musical »König der Löwen« zum Beispiel, als süddeutsches Pendant zu Hamburg. Weil Augsburger Stadtregierungen Privatisierung mögen, kommt man ins Geschäft. Dann hat die Stadt ein schickes Theater, in dem nie mehr etwas anderes läuft als »König der Löwen«. Irgendwann stellt man fest: Ist doch ziemlich fad. Sogar wenn die Stadt nun das Geld hätte, dürfte sie nach den im TTIP-Vertrag drohenden »ratchet clauses« das Theater nicht mehr rekommunalisieren: Denn was einmal privatisiert ist, muss privat bleiben. Als Gegengewicht die freie Szene stärker zu fördern, bliebe der Stadt unter dem TTIP-Regime ebenfalls untersagt: Das wäre eine unzulässige Benachteiligung des privatwirtschaftlichen Theaterakteurs.
»Freihandel« suggeriert, es ginge hier um die Abschaffung von Zöllen zwischen USA und EU. Die spielen aber kaum mehr eine Rolle, beide Seiten sind einander längst die größten Handelspartner. Die geplante Abschaffung »nichttarifärer Handelshemmnisse« meint in Wirklichkeit vor allem die Beseitigung möglichst vieler qualitativer Standards, von denen sich lobbystarke Konzerne bei der Profitmaximierung gestört fühlen. In der Kulturbranche aber ist Qualität das zentrale Kriterium. Die Kulturförderung der öffentlichen Hand gibt es ja gerade deshalb, weil die quantitative Logik des Marktes, sich selbst überlassen, genau zu obigem »König der Löwen«-Szenario führt – und noch zu einer ganzen Reihe weiterer Probleme, zu denen man mehr zum Beispiel unter www.kulturrat.de findet.
Für Kulturinteressierte und Kulturschaffende gibt es also eine ganze Menge Gründe, sich – schon aus eigenem Interesse – für einen Stopp der TTIP-Verhandlungen einzusetzen. Gelegenheit dazu gibt es am europaweiten Aktionstag gegen TTIP am Samstag, den 18. April, auch in Augsburg. Ab dem Vormittag wird das Augsburger Bündnis STOP TTIP! mit Infoständen an mehreren Punkten der Innenstadt zu verschiedenen Aspekten des Abkommens informieren und Unterschriften sammeln für die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP. Für ca. 14 Uhr rufen Attac und Greenpeace zu einer Kundgebung am Rathausplatz mit anschließendem Demonstrationszug auf.
Gerald Fiebig ist Journalist und Audiokünstler. Er arbeitet im AK Freihandel von Attac Augsburg mit und präsentierte zuletzt bei der Großen Schwäbischen im H2 die Klanginstallation »Transatlantic Free Trade« (Foto). www.geraldfiebig.net
Politik & Gesellschaft
Verhandelt, verraten und verkauft
14. April 2015

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