Krankheit als Lebensform

Thomas Manns legendärer Roman »Der Zauberberg« wurde für das Staatstheater Augsburg in Bühnenform gebracht.
Als Hans Castorp im Sanatorium Berghof eintrifft, um seinen Cousin Joachim Ziemßen zu besuchen, irritieren ihn der Tagesablauf und die teils merkwürdigen internationalen Tbc-Kranken und Ärzte dort oben zunächst sehr. Doch er ist eigenartig fasziniert von dieser speziellen Welt, er verliert sich allmählich darin, wird selbst zum Patienten und bleibt schließlich sieben Jahre auf dem »Zauberberg«. In Thomas Manns Roman vergeht diese um den Ersten Weltkrieg angesiedelte Zeit nicht kontinuierlich, sondern so wie sie wahrgenommen wird, mal ungeheuer gedehnt, wie der erste Tag, mal sprunghaft kurz. Dieses weitläufig auf rund tausend Seiten erzählte Werk haben nun Intendant André Bücker und Dramaturgin Sabeth Braun in eine dreistündige Bühnenfassung gebracht, die – schlaglichtartig – die ganze Wegstrecke geht.
Mit dem Protagonisten geraten auch die Zuschauer*innen in den Sog der Welt auf dem »Zauberberg«, der bevölkert ist von hustenden, sich windenden Patienten, exzentrisch-sarkastischen Ärzten und Pflegenden, alle aber irgendwie aus der Zeit gefallen. Hier oben herrscht eine ganz eigene Realität.











Die erste Bühnenhalbzeit geht es recht langsam an, sie widmet sich Hans Castorp (Julius Kuhn) und seiner Akklimatisation, skizziert die allerdings karikaturhaft geratenen Figuren. Nach der Pause ändern sich Tempo und Perspektive, denn im zweiten Teil werden in mühsamen (Wort-)Gefechten zwischen Settembrini (Norbert Stöß) und Naphta (Andrej Kaminsky) die ideologischen Klingen gekreuzt, wodurch es für die Zuschauer*innen, die zugleich das parallele Geschehen drum herum wahrnehmen möchten, zunehmend schwieriger wird, den roten Faden nicht zu verlieren. Dieses allgemeine Sichverlieren findet sich auch im Bühnenbild. Die Akteur*innen bewegen sich in einer weitgehend farblos-grauen Umgebung auf einer Drehbühne, strukturiert von drei großen Stahlrahmen, in denen drehbare, verglaste Elemente verankert sind und die den Raum definieren. Dieser verändert sich jedoch beständig durch wechselnde Reflexionen und Durchblicke und gewährt keinerlei sichere Verortung.
Ein hastiges, grelles Flackern zieht sich durch das Bühnengeschehen, das sich als atemlose Farce zeigt. Die literarische Ausgangslage hingegen dreht das ganz große Rad und betrachtet eine zunehmend auseinanderfallende Gesellschaft, das Wesen der Krankheit, denkt über das Denken nach, diskutiert Weltanschauungen. In Manns Roman wird all dies von den detail- und wortreich beobachteten Menschenbildern zusammengehalten, das braucht seine Zeit und kann sich eine gewisse Langatmigkeit leisten. Dieser eigenartige Zauber stellt sich im Theater nur bedingt ein, denn für die Bühne werden einzelne Aspekte beleuchtet, das Geschehen wird auf drei Stunden kondensiert, was einerseits recht lang, dennoch nicht ausreichend scheint.
www.staatstheater-augsburg.de | die nächsten Vorstellungen im Martinipark: 6., 16. und 30. Oktober