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Design der Zukunft

a3kultur-Redaktion

Nach »Die Synchronisierung der Welt« hier nun der zweite Teil des Gastbeitrags von Dr. Karl Borromäus Murr anlässlich der Sonderausstellung »design goals«.

Das Textildesign der Zukunft muss auf die Eskalationslogik globalisierter Ökonomie antworten, wie ich sie in der vorigen Ausgabe von a3kultur skizziert habe. Ein zukunftsweisendes Design muss deshalb mit einer produktiven Disruption einsetzen, die statt einer schlechten Kontinuität des Weiter-so einen Bewusstseinswandel in Gang setzt – auch wenn dies immer wieder auf Skepsis stoßen wird.

Das Textildesign der Zukunft muss sich der Slow Fashion statt der Fast Fashion verschreiben. Es gilt demnach, die Beschleunigung unsers Konsums schon im Design so zu bremsen bzw. zu steuern, dass die Produktion nachhaltiger verläuft, dass regionale Wertschöpfungsketten mobilisiert werden und dass Produkte statt mit geplanter Obsoleszenz mit längerer Lebenszeit angedacht werden – auf der Grundlage einer größtmöglichen Schonung von Ressourcen.

Das Design der Zukunft muss anstelle von »Vorführung« auf »Verführung« setzen. Der französische Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard hat der westlichen Industrie vorgeworfen, dass sie nur noch schale Produkte herstelle, indem er den aus dem Lateinischen herrührenden Begriff »Produkt« wörtlich als »Vorführung« übersetzt hat. Verführen müssten Konsumgüter aber im Sinne eines neuen Verhältnisses zwischen »wahren« Bedürfnissen und deren möglicher Befriedigung – in der Hoffnung, der Welt einen Zauber zurückzuerstatten.

Das Design der Zukunft sollte responsiv und nicht auktorial agieren. Responsives Design nimmt die Bedürfnisse der Konsumierenden ernst – Bedürfnisse, die regional oder lokal ganz unterschiedlich ausfallen können. Kate Fletcher, britische Pionierin in Sachen textiler Nachhaltigkeit, hat in diesem Sinne einen Lokalismus gefordert, der allerorten nach neuen Designlösungen in der Auseinandersetzung mit lokalen soziokulturellen Traditionen sucht. Angesichts der Verschiedenheit der menschlichen Kulturen leuchtet ein, dass global-homogene Designlösungen der gesellschaftlichen Diversität kaum gerecht werden. Damit ist keine naiv-romantische Verklärung des Lokalen ausgesprochen, sondern die notwendige Einforderung einer situationsgerechten Lebensform. Kurzum: Zukunft braucht den Fokus auf das Lokale, das wir über das Globale zu vernachlässigen drohen.

Das Design der Zukunft sollte sodann auf Interdisziplinarität statt auf abgezäunte Wissenssparten setzen. Studiengänge, die wie in Deutschland die Hochschule Niederrhein Design und Ingenieurwesen zusammenbringen, sind deshalb sehr willkommen. Aber auch die Kenntnis der Kulturwissenschaften hilft beispielsweise dabei, regionale Wissenstraditionen produktiv zu nutzen. Wo immer der renommierte Architekt und Pritzker-Preisträger Peter Zumthor ein neues Gebäude errichtet, studiert er intensiv die lokalen und regionalen Baudtraditionen und Materialvorkommen. Die daraus entstehende Architektur antwortet damit immer schon in einem Dialog mit der Kultur vor Ort.

Das Design der Zukunft setzt auf eine kluge Form der Kreativität, die hier von eindimensionaler Innovation unterschieden werden soll. Innovation bringt lediglich ein differentes Produkt hervor, das mit dem minimalen Unterschied den auf Novitäten eingestellten Modehunger zu stillen versucht. Kreativität hingegen folgt einem holistischen Verständnis von schöpferischem Entwerfen. In diesem Sinne erscheint es bisweilen weit kreativer, einen Klassiker der Mode zu variieren oder neu zu interpretieren, als partout auf eine bloße Neuheit zu setzen. Experimentierfreude gehört selbstredend in die Domäne der Kreativität – denn nur im suchenden Überfluss entstehen Designs, die einen nachhaltigen Unterschied ausmachen können.

Das Design der Zukunft baut auf eine zirkuläre Ökonomie statt eine lineare Ökonomie. Recycling, Reuse, aber auch Upcycling mögen hierfür als Stichworte dienen. Dabei lohnt etwa der sensibilisierte Blick auf herkömmliche Industrieabfälle, die neu genutzt werden können. Trash wird zu Treasure – auf kulturwissenschaftlicher Ebene reflektieren die Rubbish Studies und Waste Studies solch beinahe alchemistischen Wandlungsprozesse.

Ein zukunftsgewandtes Design arbeitet schließlich mit triftigen Geschichten, Mythen, Imaginationen, mehr noch: mit der Kraft von Utopien. Sozial überzeugendes Design muss Narrative entwickeln, die Konsum einbetten in den größeren Zusammenhang einer gerechteren Gesellschaft, einer tragfähigen Kultur, einer perspektivischen Erzählung in die Zukunft hinein.

Das Design von morgen braucht nicht nur plausible Geschichten, sondern auch Geschichte – im Singular. Pointiert ausgedrückt: Zukunft braucht Herkunft. Hier geht es nicht um eine konservative Besinnung auf die Vergangenheit, sondern um die kluge Kenntnis etwa von handwerklichen Traditionen, von regionalen oder lokalen Techniken, von traditionellen Materialien und Rohstoffen.

Der letzte gedankliche Impuls richtet die Aufmerksamkeit schließlich auf den Zusammenhang von Design und Freiheit. Hier folge ich der Anregung von Friedrich von Borries, der für ein Design der Zukunft reklamiert hat, dass das Design von morgen nach Entwerfen statt Unterwerfen trachten muss. Von Borries geht hier auf die Philosophen Martin Heidegger und Vilém Flusser zurück, die im Entwerfen eine existenzielle Tätigkeit des Menschen überhaupt erkennen, der sich damit in seinem Dasein einrichtet und behauptet. Der Designer Otl Aicher, der dieses Jahr 100. Geburtstag gefeiert hätte, hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein treffendes Design menschliche und gesellschaftliche Autonomie hervorbringt. Auch wenn heute der Gedanke einer selbstherrlichen Autonomie des Subjekts, das sich gleichsam rücksichtslos und radikal entwirft, weit kritischer als noch zu Aichers Zeiten debattiert wird, muss doch die Vorstellung zielführend bleiben: dass ein Design die emanzipatorisch-freiheitliche Bestimmung des Menschen befördern soll.