Mit seinem Thriller ähnlich konzipierten Werk „Radio and Juliet“ (Foto, UA 2005) für eine Tänzerin (die in Augsburg mit Yvonne Compana Martos treffsicher besetzt war) und sechs Tänzer bestätigte der in Rumänien geborene, mit diversen Preisen gekürte Edward Clug, der seit zehn Jahren Chef des Slowenischen Balletts in Maribor ist, seinen weit verbreiteten Ruf als experimentierfreudiger Choreograf. Zudem agiert er höchst musikalisch, mit großem choreografischen Detailreichtum und dramaturgischer Finesse. Hervorstechende Merkmale seiner innovativen Handschrift waren die Blitz-Tempi und die mit Rastereffekten spielende, intensive Bewegungsqualität, die von dem Augsburger Interpreten-Septett mit blendender technischer Akkuratesse und überzeugender Präsenz auf die Bühne gesetzt wurde.
Die emotionalen (Ab)Gründe von Shakespeares Liebestragödie deutet der Choreograf zum avantgardistischen Sound der britischen Rockband „Radiohead“ in einer zeitlosen, puristischen und düsterfarbigen „Nouvelle Vague“-Ästhetik spannungsgeladen um: Julia entscheidet sich für das Überleben auch ohne ihren Romeo! Ohne Mann und damit ohne den latent gewaltbereiten Partner, der sein Gegenüber vom Liebesobjekt zum psychisch und physisch verwundeten Opfer macht, kann auch die Protagonistin (Jiwon Kim) im zweiten Werk des Ballettabends besser über- und weiterleben. Die junge polnische Choreografin Katarzyna Kozielska ist seit der Spielzeit 2000/01 Tänzerin im renommierten Stuttgarter Ballett und machte dort seit 2011 mit vier ersten eigenen Kurz-Choreografien auf sich aufmerksam.
Ihre (leider) nur knapp 25 Minuten lange, in Augsburg uraufgeführte bildkräftige und auf Spitze getanzte Choreografie „Palpitation“ (dt.: Herzrasen) unterlegte sie mit der eindringlich-meditativen, teils an Ravels Bolero oder an Orffs Carmina Burana erinnernden Komposition „Exodus“ für Chor und Orchester, geschaffen von ihrem Landsmann Wojciech Kilar (1932-2013). Erlebte man zuvor sechs ausdrucksvolle Männer um eine willensstarke Frau, zeigten sich jetzt sechs allmählich erstarkende Frauen, die gemeinsam wachsen, einen undurchdringlichen Schutzwall bilden und damit den „Täter“ (pars pro toto: Jacob Bush) in seine Schranken verweisen, auf Abstand halten. Die in der Vergangenheit gemachten schmerzvollen Erfahrungen und Blessuren, die auch klar die Kostümbildnerin Katharina Diebel schön verdeutlichte, können so womöglich dauerhaft geheilt werden. Ein rundum lohnender, alle Emotionen ansprechender Ballettabend! (rbg)